The best Loser in Town
Sama se ehrlich: Niemand verliert gerne. Nicht einmal ich. Und wenn es doch sein muss, dann – bitt´ schen, Euer Gnaden – unter erleichternden Umständen. So geschah es mir, einem der ältesten Rookies der Wiener Pétanqueszene. Denn tatsächlich führe ich am Ende der Coronasaison die B-Rangliste des Österreichischen Pétanque-Verbandes an. B hat in diesem Fall sehr wohl etwas mit B-Zug zu tun und bedeutet auch in diesem Fall nicht „besser“. Aber schön der Reihe nach …
Unter Pétanque-SpielerInnen nennt man Menschen, die in diesen noch immer nicht anerkannten Sport hineinkippen, angefixt. Warum wir dafür einen Begriff aus der Welt der Drogen verwenden, sei dahingestellt. Sollte es jemand wissen, wäre ich natürlich dankbar für die Aufklärung. Mit der Gegenwart kann es jedenfalls nichts zu tun haben. Ich habe während des Spiels noch nie diesen kräuterfrischen Rauch eines dicken Ofens ungefragterweise eingesogen. Auch kommt es überschaubar selten vor, dass Sechzehnerbleche oder Weinflaschen in meiner unmittelbaren Gegenwart geöffnet oder sogar geleert worden wären.
Nur ein bisserl Boule spielen
Meine feierliche Anfixierung fand jedenfalls vor vier Jahren statt, im Alter von reschen 55 Jahren. Ein Freund und Musiker, der dieser Sucht schon einige Jahre zuvor erlegen war, stellte es ziemlich schlau an. „Komm, wir fahren zu zwei Freundinnen auf´s Land, ich nehme meine Kugeln mit, und wenn wir Lust haben, können wir ja ein bisserl Boule spielen.“ Dass ich wegen der zwei Freundinnen angebissen habe, versteht sich von selbst. Was mit den zwei Freundinnen weiter geschah, außer dass sie noch immer zwei Freundinnen sind, erspare ich euch. Dass ich nach wie vor Single bin, sollte genügen. Der Ausflug war jedenfalls sehr nett. Feines Essen, schönes Wetter, nette Gespräche und ein bisserl Boule eben. Auf einem Schotterweg zwischen einem Acker und einer Sandgrube war es. Der Schotterweg hatte dergleichen sicher noch nie erlebt. Rums und wieder schlägt eine Eisenkugel mit knapp einem Kilo ein. Ja, es war schon vergnüglich, und ja, es war gar nicht so einfach, diese Schei…kugel wirklich nahe an dieses Schei…schweinchen zu kriegen. Aber sollte das alles gewesen sein?
Geh ma a bisserl in den Augarten
Ich unterstelle meinem Freund keine Absicht, ehrlich nicht. Er ist Freejazzer, und die Freiheit der Entscheidung gehört nicht zuletzt deshalb zu seinen höchsten Werten. Aber er liebt eben auch Pétanque, was mich letztlich doch ein wenig nachdenklich stimmt. Jedenfalls war kein Monat vergangen, als wiederum die Idee von einem gemeinsamen Ausflug mit den beiden Freundinnen im Raum stand. Angedachter Ort des Geschehens: der Augarten. No na, heute ist es mir klar, warum gerade der Augarten, und das noch dazu an einem Wochenende. Wenn es in Wien einen Ort gibt, an dem Samstag und Sonntag nach Mittag mehr als verlässlich Pétanque gespielt wird, dann sind es weder der Prater noch die Lobau, dann ist es eben: der Augarten.
Besonders schlau finde ich im Nachhinein, dass wir uns für das Picknick – nur eine kleine Flasche Wein für vier Personen! – mit anschließendem Kugelschmeißen nicht direkt neben der Hauptallee vor dem Flakturm niederließen. Gespielt wurde auf einer der kreisrunden Flächen in Sichtweite der Hauptallee. Auch hier wieder des Freundes Finesse: Das Terrain, der Schotterboden, war relativ einfach zu bespielen und entsprechend erfreulich auch meine Legeleistung. Eigentlich ist das doch sehr leiwand! Ein Gedanke, ein Gefühl, und gegen Abend dann die Entscheidung, am Dienstag darauf einmal auf die Summerstage zu gehen. Könnte sein, dass an diesem Sonntag noch ein vielleicht vor dem Vorhaben stand.
Du musst ein bisserl Geduld haben
Dienstag um 17 Uhr pünktlich auf der Summerstage. Mein Freund konnte an diesem Abend nicht dabei sein, aber es waren ohnehin an die 20 Spielerinnen und Spieler schon munter beim Schmeißen, als ich mich mit meinen drei ausgeborgten Kugeln in der Hand an den Spielfeldrand stellte. Wenn ich mich richtig erinnere, war einer meiner Gedanken folgender: „Na seavas, kana, den i kenn!“ Danach ging es jedenfalls Schlag auf Schlag. Irgendwer aus der Menge rief plötzlich: „Auslosung!“ Damals für mich noch recht unvermutet, heute weiß ich natürlich, dass dies der ritualisierte Beginn eines Bouleabends ist. Und was für mich noch erstaunlicher war: Mit drei Kugeln in den Händen hatte man schon die Berechtigung in der Hand, an dieser Auslosung teilzunehmen, also mitzuspielen. Alter, Herkunft oder Spielstärke spielten keine Rolle. Allez! Lass uns also probieren, ob wir diesen Profis nicht doch Paroli bieten können!
Nur damit wir uns richtig verstehen: Meine erste Partie spielte ich im Team mit Pierre, der damaligen Nummer eins in Österreich. Typischerweise ein Franzose, der leider, leider seit knapp zwei Jahren wieder in Frankreich lebt. Ein ausgesprochen liebenswerter Mensch, bei dessen Abschiedsabend durchaus geweint wurde. Und damit wir uns noch besser verstehen: Nachdem ich meine erste Partie an der Seite von Pierre vielleicht doch nicht verlor, nahmen mich zwei Frauen unter die Fittiche: Valerie, eine der Mitbegründerin der österreichischen Bouleszene, und Agnes, die heutige Leiterin der Sektion Pétanque des WSC. Mein Beziehungsstatus blieb nach dem Abend nach wie vor unverändert, aber diese beiden Boulegöttinen brachten alle Geduld der Welt auf, mir die ersten Grundbegriffe dieser nicht anerkannten Sportart beizubringen. Jetzt brauchte ich nur mehr ein bisserl Geduld, das Gelernte umzusetzen.
Eigentlich ein bisserl unfassbar, wenn ma se ehrlich san
Okay, also vier Jahre ist das jetzt her. Anfangs waren es zwei, drei Abende in der Woche. Dann kamen der vierte und fünfte Abend dazu und – natürlich – die beiden Wochenendtage im Augarten. Irgendwann fragst du dich nur mehr, wann du nicht gespielt hast. Du spielst deine ersten Turniere, stellst dabei fest, dass sogar jenseits der Donau Boule gespielt wird, und – obwohl sich dein Beziehungsstatus weiterhin nicht ändert – du spielst nicht nur weiter, sondern auch schon außerhalb Wiens. Am Ende des zweiten Jahres gab es dann dieses Bundesligaturnier in Haslach (OÖ), wo Markus und Alex mir dabei halfen, den dritten Platz zu gewinnen. Freudentränen. Im Semifiale nur knapp an den Franzosen gescheitert!
Und du spielst weiter und lernst weiter, und während du das machst – und dein Beziehungsstatus … –, erkennst du, wie schwer es ist, diese einfache Legebewegung so konstant hinzukriegen, dass die Kugel auf jedem Boden wirklich sicher auf einen halben Meter zur Cochonette (= geliebtes Schweinchen) liegen bleibt. Vom Schießen rede ich gar nicht. Ein Mysterium, wie man es schaffen kann, eine Kugel mit einem Durchmesser von rund 70 mm aus einer Entfernung von 6 bis 12 Metern regelmäßig zu treffen. Bei einem Carreau bleibt die eigene Kugel sogar anstelle der geschossenen Kugel an Ort und Stelle liegen; ein bisserl unfassbar, eigentlich, wenn ma se ehrlich san.
Jedes Jahr ein bisserl besser werden
Aber – und jetzt gleiten wir langsam in die Gegenwart herüber – es wird besser. Mit den üblichen Rückschritten freilich, aber die Tendenz ist steigend. Und das macht nicht nur die Unmenge an Stunden aus, die ich damit auf höchst köstliche Weise und in überdurchschnittlich angenehmer Gesellschaft verbringe, es sind auch die wenigen Stunden, die ich mittlerweile das Vergnügen hatte, von professionellen Trainern unterrichtet zu werden. Man glaubt ja gar nicht, was man alles falsch machen kann, und noch weniger, wie mühsam es ist, die erkannten Fehler wieder auszumerzen. Wochen für eine falsche Handstellung zum Beispiel. Aber es zahlt sich aus, nach der erfolgreichen Umstellung merkt man, dass auch die Ergebnisse wieder erfreulicher werden.
Jedenfalls – und hier fängt der Text langsam an, ans Ende zu kommen – haben meine Fortschritte dafür gereicht, eine historische Meisterschaft im Jahr 2020 zu gewinnen: die österreichische B-Rangliste. Was das ist? – Ganz einfach, bei unseren Turnieren wurde in den meisten Fällen eine Vorrunde gespielt, danach machten die besten acht Teams die Entscheidung um den Sieg in einem Cupsystem aus. Damit die ausgeschiedenen Teams nicht zum Zuschauen oder Heimgehen verurteilt waren, wurde parallel dazu ein B-Turnier gespielt, die zweitklassige Freude der VerliererInnen. Für die Platzierungen in diesen B-Turnieren gab es Punkte für die B-Rangliste, 2020 eben die meisten für mich. Schön, traurig und historisch ist dieser Sieg deshalb, weil es ab nächstem Jahr keine B-Turniere mehr geben wird und ich also der letzte best loser in town sein werde.
Ein bisserl was Wesentliches noch
Turniersaison war heuer ja coronabedingt sehr kurz. Nächstes Jahr wissen wir noch nicht genau, was kommen wird. Sicher ist: Ich spiele. Gerade jetzt praktisch jeden Tag. Nicht nur, weil es auch während des Lockdowns erlaubt war, diese nicht anerkannte Sportart alleine zu trainieren, sondern auch, weil ich jetzt immer besser verstehe, warum ich vor vier Jahren angefixt werden konnte und meine Leidenschaft für Pétanque seither eher zu- als abnimmt. Ein Grund sind die Menschen, mit denen ich diese Begeisterung teile. Ich würde sagen, der Prozentsatz an leiwanden Damen und Herren ist unter den BoulespielerInnen in etwa so hoch wie bei den ehrenwerten BesucherInnen auf der Friedhofstribüne.
Ein zweiter nicht minder wichtiger Grund ist diese ruhige Freude, die ich während der Stunden des Spiels und Trainings erlebe. Klar ärgere ich mich noch immer über mein Misslingen, aber es wird seltener. Nicht weil ich so viel besser werde; überhaupt nicht. Die Wut auf mich wird kleiner, weil ich lerne, mir Fehler zuzugestehen, und weil ich mich immer öfter darüber freuen kann, wenn sich eine Bewegung gut angefühlt hat. Eine ziemlich kostbare Zufriedenheit, die ich mir da schenke, und sie hat so gar nichts mit Gewinnen oder Verlieren zu tun, eher mit dem Annehmen meiner selbst. Könnte es sein, dass sich mein Beziehungsstatus dadurch langfristig doch noch verändert?
Text: H. Peter Friedl